Gedankliches

Dienstag, 20. September 2005

Die wahren Sieger unserer Zeit

Nike sass auf der Akropolis und blickte Stirn runzelnd über das weite Land. Ihre grossen Flügel hatte sie eng an sich gepresst, denn sie fröstelte ein wenig. Der kühler Wind spielte eine leichte Melodie auf ihrer Lyra, die sie neben sich stehen hatte.
Wieder wurde sie gerufen: Der Krieg im Irak war von den Amerikanern gewonnen worden, und man erwartete Nike zur Ehrung des Siegers. Über all die Jahre hinweg hatte Nike wieder und wieder Siegern gratuliert, und diese hatten mit stolz geschwelter Brust die Ehrerweisung entgegen genommen. Der Champagner floss dabei reichlich, Papierschlangen wurden in die Luft geworfen, und die Leute jubelten und tanzten ausgelassen.
Heute aber machte sich Nike mehr Gedanken zur kommenden Feier als sonst. Es war einer dieser Abende, wo die Sonne vor dem Untergehen rosa Wolken an den Himmel zaubert und die Landschaft in ein unwirklich paradiesisches Licht taucht. Die Farben an solchen Abenden wirken gedämpft; die Zeit scheint still zu stehen.
Nun also sollte Nike zu eben dieser Feierlichkeit nach Washington fliegen. Sie hatte schon zu lange verträumt auf den Sonneuntergang geblickt. Sie rief sich die Bilder des Irakkrieges wieder vor Augen: Sollte - obschon bei einem Krieg tausende von Menschen sterben, ganze Familien ausradiert und Städte zertrümmert werden, wo Gewalt an der Tagesordnung ist, wo vor lauter Elend keine Tränen zum Weinen mehr übrig sind - nach der Beendigung eine ausgelassene Siegesfeier stattfinden? Sind denn nicht beide Parteien Verlierer, wenn auf beiden Seiten Verluste zu verbuchen sind, eine traumatisierte Bevölkerung zurückbleibt und jahrelange Wiederaufbauarbeit geleistet werden muss. Kann man darauf anstossen und vor Freude tanzen?
Am gleichen Abend stand noch eine weitere Siegerehrung an: Lance Armstrong hatte wiederholt die Tour de France gewonnen. Während des Rennens und der Vorbereitungsphase hatte er beinahe unmenschliche Strapazen auf sich genommen. Jahrelanges Training, strikte Diät und mentale Fitness verhalfen ihm erneut zum Sieg. Oder hatte er einfach Glück, dass er bei keiner der vergangenen Dopingkontrollen aufgeflogen war? Fand er etwa einen Weg, der es ihm erlaubte, illegale leistungssteigernde Präparate einzunehmen, die man später nicht nachweisen konnte? Vereinfacht gesagt: Wurde er zum Sieger, weil er ein gewiefterer „Pillen-Spicker“ war als seine Konkurrenten?
Nike seufzte. Die Pflichten riefen. Es blieb keine Zeit, sich länger darüber Gedanken zu machen. Sie nahm die goldenen Lorbeerkränze unter den Arm und wollte sich in die Lüfte gen weisses Haus schwingen. Da hörte sie ein sanftes Händeklatschen, begleitet von freudigem Geplapper. Nike hielt inne und lauschte: Juliane machte ihre ersten Schritte nach dem schweren Autounfall, den sie vor einem halben Jahr erlitten hatte. Die Ärzte hatten ihr danach erklärt, dass sie nie mehr gehen könne.
Paul und Sarah fielen sich mit Tränen in den Augen um den Hals. Sie wollten es noch einmal versuchen, auch wenn die letzten Monate ihrer jungen Ehe schwierig waren. Freunde hatten an ihre gemeinsame Zukunft nicht mehr geglaubt.
Otto stand im Kreise seiner Familie und stiess auf seine Rückkehr aus dem Spital an. Er hatte vorerst den Krebs besiegt und war glücklich, die Geburt seines Enkels doch noch miterleben zu können.
Nike legte die Lorbeerkränze zurück und setzte sich wieder. In den Ereignissen, welche soeben an ihr Ohr gedrungen waren, hatte die Hoffnung gesiegt, die Liebe oder der Glaube an eine Besserung. Hier gab es keine Verlierer, sondern nur ehrliche Sieger.
Nike ignorierte Washington und Paris und wandte sich stattdessen Juliane, Otto, Paul und Sarah zu. Ihnen wollte sie ihre Ehrerweisung entgegenbringen. Ihnen wollte sie zum Sieg gratulieren.
Sie klemmte ihre Lyra unter den Arm, packte den goldenen Kelch und eine Flasche Götterwein und machte sich auf, zu den wahren Siegern unserer Zeit.

Mittwoch, 10. August 2005

Chocolat

Schokolade ist höchster Genuss, sinnliche Verführung, Lebenselixier, Trösterli in einsamen Stunden.

Aktuellen Umfragen und Expertenaussagen zum Trotz bin ich ja der braune Schokoladenliebhaber. Die schwarze Schoggi schmeckt mir zu bitter und kratzt mich im Hals und die weisse ist mir irgendwie zu süss und klebrig. Also als nächstes Mitbringsel bitte keine 100% Guayana-Bohnen-super-extra-fine-Schokoexklusivitäten sondern gleich das 10-Tafel Sonderangebot von der Migros. Ich mag ja in den Augen der Feinschmecker ein Gourmand sein, aber die Milchschoggi ohne Schnickschnack und mit viel Rahm schmeckt mir halt immer noch am besten.

Gut, mit Wehmut denke ich da an das verheissungsvolle Rascheln des Stanniolpapiers zurück, als wir zur Belohnung nach einem anstrengendem Morgen voller Papierbündel-Schleppen ein Rippli Schokolade geniessen durften – ein nettes Grosi hatte extra hinter dem Vorhang der Eingangstüre gewartet und als wir schwitzend und schnaufend und mit schon halb verschnittenen Fingern ihre Zeitungsbündel zum Sammelcontainer schleppen wollten, ist sie freudestrahlend mit eben dieser Schoggi -eingewickelt in Stanniolpapier – aus dem Hauseingang gesprungen und hat sie uns blinzelnd in die Hosentasche gesteckt. Heute raschelt das Aufmachen einer Tafel schon noch, aber leider spiegle ich mich nicht mehr im Papier und die Plastikumwicklung zaubert halt nicht mehr die selben Vorfreuden hervor, wie anno dazumal.

Klar bin ich auch für Recycling (in jungen Jahren wurde ich ja mittels Papiersammeln schon darauf getrimmt) und Umweltschutz und es macht sicher Sinn, hat man das Stanniolpapier ersetzt, aber „es isch nümme s glich...“

Neuer Anfang

Am Montag fängt der Ernst des Lebens wieder an. Ferien vorbei. Koffer ausgepackt. Erinnerungen als Fotos an die Wand gepinnt.

Komisch kommt’s mir vor. 2,5 Monate ohne Büromief, Kundengebell und Pausenraumgequatsche. Gefehlt hat es mir nicht und Gott sei Dank muss ich auch nicht zurück dort hin.

Ich hab mich für eine ganz andere Richtung entschieden. Ja, das ist möglich. Full Stopp und Gleisänderung. Richtung Zukunft.

Freitag, 20. Mai 2005

Vergangenheit im Jetzt

Plötzlich stand sie neben mir. Wie aus dem Nichts heraus. Ich spürte ihre knochige Hand auf meiner schmalen Schulter. Ich konnte ihr Parfüm förmlich riechen; ein Duft, der an die ruhmvollen Tage als Primaballerina erinnerte. „Nicht zweifeln!“ Ihre Worte hallten in meinem Kopf. Wie vor vielen Jahren an der Übungsstange vor der Spiegelfront riss ich mich im Hier und Jetzt zusammen, nahm kerzengerade Haltung ein. „Nicht zweifeln!“

Mittwoch, 18. Mai 2005

Wo bleibt denn der Sommer?

Meine luftigen Röcke und farbigen Stoffhosen hängen frisch gebügelt im Schrank bereit. Die Sandaletten und Flipflops stehen in Startposition. Pinker Nagellack und Lidschatten in Pastell Tönen warten darauf aufgetragen zu werden. Im Tiefkühler stapeln sich Wasserglace und Eisstücke mit eingelegten Minzeblättern. Die Gartenstühle hab ich mit bunten Kissen geschmückt und den Tisch in ein türkisfarbenes Tuch gehüllt.

Es kann losgehen!

Freitag, 13. Mai 2005

Tauchgang

Hab soeben die Faithless – Greatest Hits eingeschoben. Die Beats von Insomnia, Salva mea und God is a DJ wecken in mir Erinnerungen an durchtanzte Nächte in der damaligen In-Disco Playa.

Das waren die Zeiten, wo ich meinen Vater mit Hundeaugen anbettelte, ich bräuchte UNBEDINGT sein Auto für Samstagabend. Nein, es werde keinen Alkohol getrunken, ich würde mich darauf achten keine Kratzer oder Beulen einzufahren, und nein, es werde nicht allzu spät...

Beim Eintritt auf die Tanzfläche waren alle Schulprobleme vergessen, alle Streitigkeiten mit den Eltern, alle gehässigen Wortgefechte mit der Grossmutter.

Und die nasale Stimme von Faithless-Sänger Maxi drang an mein Ohr, die Beats hämmerten, der Bass wummerte. Hände flogen in die Höhe und die Trockeneismaschine arbeitete auf Hochtouren. Schweiss rann und flog durch die Luft. Das Stroposkop gab sein Bestes und zauberte bizarre Bilder an die Wände.

Abtauchen. Nie mehr Auftauchen. Aus der Erinnerung.

Freitag, 29. April 2005

Raus!

Draussen herrschen 21°C, stahl blauer Himmel, Vogelgezwitscher, hellgrün beblätterte Büsche und Bäume. Der Strom der nach Wochenende dürstenden Autos, der sich aus dem Industriegebiet wälzt und an der Stoppstrasse staut, ruft nach Feierabend. Ich will auch! Muss meinen Blick immer wider vom Bildschirm lösen und sehnsüchtig die schleppende Kolonne betrachten. Die Autos glänzen in der Sonne. Noch eine Stunde und 39 Minuten. Das schaff ich. Nicht wirklich produktiv, aber kann man mir das wirklich verübeln?

Mittwoch, 27. April 2005

Wie bringe ich einer langjährigen Freundin bei, dass ich nichts mehr zu tun haben will mit ihr?

Nein, sie hat mir nicht meinen Mann ausgespannt, sie hat auch nicht mit gespaltener Zunge hinter meinem Rücken über mich gelästert, hat mich nicht versetzt oder mir weh getan. Ich kann auch nicht sagen, dass wir uns auseinander gelebt haben, sie oder ich ein anderer Mensch geworden sind und wir uns daher nicht mehr verstehen.

Mir ist vor einiger Zeit aufgefallen, dass mir Susanne auch nach 12 Jahren noch immer fremd ist. Nur ganz selten scheint sie mich in ihr Vertrauen zu ziehen. Kurze Einblicke in ihr Innerstes gewährt sie mir nur ganz wenige und nur, wenn sie unter Zugzwang steht und nicht anders kann, als sich zu öffnen. Wenn mir Susanne von sich erzählt, dann läuft gemäss ihren Schilderungen immer alles toll bei ihr, wunderbar, reibungslos, ohne Probleme; sie hat einen tollen Job der sie fordert, einen tollen Freund, der ihr alle Freiheiten lässt, eine grosse Wohnung, in die sie all ihre Freunde einladen kann, ein tolles Verhältnis zur Familie, die im gemeinsamen Ferienhaus immer wieder tolle Parties veranstaltet etc. Ich hingegen sitze vis-à-vis und berichte von meinen Wehwehchen am Arbeitsplatz, meiner Mühe mit der noch immer aktuellen Abnabelung vom Elternhaus, meinem Unverständnis gewissen Macken meines Mannes gegenüber und anderen alltäglichen Reibungspunkten. Sie schaut mich dabei regelmässig mitleidig über den Rand der Kaffeetasse an und meint nur: von diesen Problemen hab ich auch schon mal gehört, eine entfernte Bekannte hat mir darüber berichtet.

Kommt dazu, dass mir plötzlich bewusst wurde, dass sie ihr Leben komplett nach den Vorstellungen ihrer Eltern und ihrem dominanten Freund lebt und dabei ihre Wünsche völlig in den Hintergrund schiebt. Um ihrer Familie zu genügen gefallen verzichtet sie auf so vieles, beklagt sich aber nie darüber.

Kann sein, dass ich das von mir Beobachtete nur in sie hinein interpretiere. Aber mein Bauch sagt mir, dass ich die sensible Susanne in den vergangenen Jahren doch immer wieder in den kurzen Momenten ein ganz kleines Stückchen hervorschimmern sah.

Susanne hat sich für diesen Lebensstil entschieden. Wenn ich ihr einen Spiegel vorhalte, wird sie nichts anderes darin erkennen, als ihr wunderbar perfektes Leben. Eine Konfrontation meinerseits würde nichts an unserem Verhältnis ändern ausser vielleicht Unverständnis und Enttäuschung ihrerseits.

Und so schlage ich den Pfad der Feigen ein: ich mache mich rar und lasse unsere Freundschaft im Sand verlaufen. Ich werde die schönen Momente in meinem Herzen bewahren und lasse Susanne zurück, in ihrer perfekten Welt.

Dienstag, 26. April 2005

Entscheid

Wie weiss ich, dass ich eine Entscheidung richtig gefällt habe? Gibt es dafür so was wie die 3-Tage-Regel bei Dates? Äussert sich das mit einer plötzlichen Erkenntnis die vom Himmel zu fallen scheint? Oder festigt sich das Wissen auf leisen Sohlen und anschwellender Intensität?

Entscheidungen können in verschiedene Kategorien geteilt werden: Entscheidungen, die den weiteren Verlauf unseres Lebens bestimmen (Ja, ich will!). Entscheidungen, welche uns durch den Tag retten (Gähn, heute schlafe ich 1 Stunde länger). Entscheidungen, welche völlig unbedeutend sind, aber trotzdem gefällt werden müssen (Dann mach ich mich mal an das vom Chef verlangte Konzept ran).

Die Schwierigkeit liegt doch auch darin, heraus zuspüren, ob die anstehende Entscheidung wichtig ist oder nicht. Nun gilt es natürlich auch „wichtig“ zu definieren. Zwischen sehr wichtig, wichtig und weniger wichtig gibt es ja noch zig Schattierungen von wichtig (Kind oder Karriere, Ja zum Ausländergesetz oder Nein, Ballerinas oder Pumps)

Entscheiden kann man sich von Herzen oder mit Verstand (Entscheidungs-Matrix). Und dann gibt es ja noch das Bauchgefühl, auf das man immer als erstes hören sollte. Das entspräche dann wohl einer Mischung aus Gefühl und Logik.

Und wie steht es mit der Angst davor, Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen zu können? Versuche ich etwa darum nach klugen Rezepten, die mir die Sicherheit geben, richtige Entscheide zu fällen?

Und was ist ein richtiger und was ein falscher Entscheid? Manchmal ergeben sich positive Sachen aus Entscheidungen, welche man in der Vergangenheit vermeintlich falsch gefällt hat – und umgekehrt.

Entscheide ich mich für oder gegen das Posten dieses Essays?

Freitag, 22. April 2005

Perpetuum Mobile (?)

Und plötzlich fasst ein Rad in das andere und das Leben, das vorher stehen zu bleiben schien, beginnt sich wieder an zu Drehen. Erst ganz sachte, leise und langsam. Es braucht noch etwas Öl hier und da. Doch dann nimmt das Tempo zu.

Ich halte die Nase in den frühlingswarmen Fahrtwind und Schnuppere den Duft der Zukunft – es ist ein angenehmer Duft. Er weckt Hoffnungen. Endlich wieder Hoffnung und vor allem Zuversicht!

Ich klettere ganz nach Oben und kann kaum erwarten das Ziel näher kommen zu sehen. Heute ist es noch ein verschwindend kleiner Punkt in weiter Ferne aber ich weiss, dass er immer grösser wird, mit jedem Tag schöner und farbenprächtiger.

Und wenn er erst einmal in Reichweite ist, dann kann mich nichts mehr Halten.

Es dreht sich wieder, mein Leben.
logo

villa kunterbunt

buntes zum grauen alltag

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Aktuelle Beiträge

..
Ein ganz interessantes Experiment.
Igelborste - 29. Jan, 08:55
Wolkenlos
Heute scheint die Sonne und morgen wird regnen. Tja....
Igelborste - 12. Dez, 09:59
Weihnachten
Weihnachtsmann im roten Anzug und mit dem falschen...
Igelborste - 5. Dez, 11:13
Mein kleiner Chemie-Kasten
Am Samstag Abend bei einem Glas Bier erzählte mir ein...
ammedisli - 4. Dez, 13:46
Es weihnachtet sehr
Nun steht die Frage wieder im Raum; dick und fett,...
ammedisli - 4. Dez, 13:31

Status

Online seit 7050 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Jan, 08:55

Australisches
Besuchtes
Cineastisches
Erlebtes
Gedankliches
Kreatives
Lesenswert
Mexikanisches
Musikalisches
Poetisches
pre-Australisches
Schmunzelndes
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren